Das neue Tagungsformat heißt »1. HEL-Symposium: Potenziale für die industrielle Anwendung«. Prof. Christoph Leyens, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik IWS und Direktor des Instituts für Werkstoffwissenschaft der Technischen Universität Dresden, erklärt: »Wir wollen Grundlagenforscher und Anwender zusammenbringen. Denn wir merken immer wieder: Viele Unternehmen sind sich dieser neuen Werkstoffklasse gar nicht bewusst. Dabei verfügen Hochentropielegierungen großes wirtschaftliches und technologisches Potenzial.« Klassische Legierungen wie Stahl sind bereits seit der Antike bekannt und werden seit über 150 Jahren hochindustriell hergestellt. Stahl enthält neben Eisen kleinere Mengen Kohlenstoff sowie Mangan, Nickel, Vanadium oder andere Elemente. Diese winzigen Beimischungen beeinflussen die Härte, Elastizität, Schmiedbarkeit und andere Eigenschaften des Stahls.
Quintett der Elemente
Hochentropie-Legierungen dagegen sind erst seit dem Jahr 2004 in den Fokus von Forschern und Ingenieuren gerückt. Sie bestehen aus mindestens fünf verschiedenen Bestandteilen in jeweils hohen Anteilen. Das können beispielsweise Aluminium, Titan, Eisen, Chrom oder Nickel sein, aber ebenso ganz andere Elemente, auch in Kombination mit Stickstoff oder Kohlenstoff – dann entstehen Keramiken. »Einige dieser Legierungen, die aus Elementen wie Aluminium, Titan, Niob, Hafnium und Vanadium bestehen, eignen sich als Hochtemperaturwerkstoffe für Turbinen«, sagt der Organisator des HEL-Symposiums Dr. Jörg Kaspar, der am IWS die Forschungsgruppe für Werkstoff- und Schadensanalytik leitet. »Damit können effizientere Kraftwerke und Flugzeuge konstruiert werden, die weniger Gas beziehungsweise Treibstoff verbrauchen. Andere Verbindungen empfehlen sich mehr für den Leichtbau.« Keramische HEL-Beschichtungen würden außerdem die gewaltigen Blechumformwerkzeuge in der Automobilindustrie verschleiß- und hitzebeständiger machen.
Manuelle Brauerei würde tausende Jahre dauern
Allerdings sind noch einige technologische Probleme zu lösen, bevor solche Legierungen tauglich für die Massenproduktion werden – und da kommen die Spezialisierungen der IWS-Forscher ins Spiel. »Hochentropielegierungen sind in sehr vielen Varianten denkbar«, erläutert Jörg Kaspar. »Wer sie alle einzeln durchprobieren wollte, würde einige tausend Jahre dafür brauchen.« Daher haben die Dresdner Fraunhofer-Analytiker Methoden weiterentwickelt, um Proben aus verschiedenen HEL-Rezepturen sehr rasch herzustellen und automatisiert auf Härte, Festigkeit und andere Eigenschaften zu testen. Möglich machen dies »additive Fertigungsanlagen«, die ihre HEL-Zutaten aus mehreren Behältern mit Eisen-, Chrom-, Nickel- und anderen elementaren Pulvern fördern. Ein Laser schmilzt diese Stoffe auf und trägt die gewünschte Mischung auf eine Probenplatte. Für die nächste Probe nimmt sich die Maschine dann zum Beispiel weniger Eisen und mehr Chrom, testet den Einfluss auf die Härte der neuen HEL, variiert die Rezeptur dann erneut. Die Anlage verändert die Zusammensetzung in den Folgeschritten solange, bis die Testreihe abgeschlossen ist.
Mit solchen und weiteren HEL-Technologien haben die IWS-Ingenieure profunde Erfahrungen: Sie beherrschen auch schwer zu verarbeitende Materialien, die sonst bei Zimmertemperatur und Lufteinflüssen spröde und rissanfällig werden, in hoher Qualität. Hinzu kommt ihre Expertise beim Einsatz unterschiedlicher additiver Verfahren: Dazu gehören Laser-Auftragsschweißanlagen, die Zutaten in Pulver- oder in Drahtform erwarten, aber auch Metalldrucker oder Anlagen, die Metalllegierungen mit Hilfe von Polymer-Stützkorsetten in Form bringen. »An Hochtemperaturlegierungen arbeiten weltweit viele Institute und Unternehmen. Aber in dieser technologischen Breite wie wir können das nicht viele. Vor allem in der HEL-Verarbeitung durch additive Fertigungsmethoden sehe ich uns vorn«, fasst Jörg Kaspar zusammen.