Laser als Schlüssel zum Rückbau zerstörter nuklearer Infrastruktur

»Der Bedarf an Lösungen ist enorm«

Aktuelles – Fraunhofer IWS Dresden /

Ein düsteres Kapitel der menschlichen Geschichte tat sich am 26. April 1986 auf, als Block 4 des Kernkraftwerks in Tschernobyl explodierte und eine Kernschmelze zur Folge hatte. Dieser tragische Vorfall verwandelte nicht nur die unmittelbare Umgebung in eine unbewohnbare Landschaft, sondern nahm auch langfristig Einfluss auf die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung. Jahrzehnte später steht die Menschheit heute vor der drängenden Herausforderung des Rückbaus des havarieren Kraftwerks. Diese Notwendigkeit sehen auch Forschende des Fraunhofer IWS in Dresden, die sich dieser komplexen Aufgabe stellen. Das Technologiefelds Trennen und Fügen arbeitet an einem laserbasierten, fernoperierten Zerlegeprozess für kontaminierte Materialgemische. Dr. Andreas Wetzig und Dr. Jan Hauptmann geben im Interview Einblicke zu den Hintergründen dieser ambitionierten Aufgabe.

Jahrzehnte nach der verheerenden Kernschmelze im ukrainischen Tschernobyl steht die Menschheit noch immer vor der dringenden Aufgabe, das zerstörte Kraftwerk zu beseitigen. Beim Rückbau zerstörter nuklearer Infrastruktur spielen Laser eine entscheidende Rolle.
© Fraunhofer IWS
Jahrzehnte nach der verheerenden Kernschmelze im ukrainischen Tschernobyl steht die Menschheit noch immer vor der dringenden Aufgabe, das zerstörte Kraftwerk zu beseitigen. Beim Rückbau zerstörter nuklearer Infrastruktur spielen Laser eine entscheidende Rolle.
Wissenschaftler des Fraunhofer IWS erforschen berührungslose Lösungen mit einer Laserquelle zum Trennen von kontaminiertem Material. Neben Fragen zur Konfiguration von Ausgangsleistung, Schneidkopf, Brennweite und Schneidwinkel untersucht das Forscherteam die Schnittqualität und das Schmelzbad.
© Fraunhofer IWS
Wissenschaftler des Fraunhofer IWS erforschen berührungslose Lösungen mit einer Laserquelle zum Trennen von kontaminiertem Material. Neben Fragen zur Konfiguration von Ausgangsleistung, Schneidkopf, Brennweite und Schneidwinkel untersucht das Forscherteam die Schnittqualität und das Schmelzbad.
Erfahrungen aus anderen Disziplinen, wie dem Bergbau, werden mit dem Laser kombiniert, um neue Lösungen zu finden.
© Fraunhofer IWS
Erfahrungen aus anderen Disziplinen, wie dem Bergbau, werden mit dem Laser kombiniert, um neue Lösungen zu finden.

Wie können Rückbaumaßnahmen verseuchter Gebiete gelingen, wenn doch Gesundheitsgefahr für Menschen besteht?

Dr. Hauptmann: Die hohe Strahlungsbelastung erfordert einen ferngesteuerten Prozess – der Schlüssel sind selbstfahrenden Roboter. Wir nutzen Raupenfahrzeuge, die von den Kolleginnen und Kollegen des Institute for Safety Problems of Nuclear Powerplants (ISP NPP) aus der Ukraine konstruiert werden. So können sich die Fahrzeuge auch durch unwegsames Gelände sicher bewegen. Diese Roboter sind mit einem Laserkopf ausgestattet. Da wir einen fasergeführten Laser verwenden, steht die Laserquelle in einem sicheren Bereich mit viel Abstand zur radioaktiven Strahlungsquelle.

Dr. Wetzig: Solche Lichtleitkabel können über mehrere hundert Meter lang sein. Die Laserquelle wird also nicht konterminiert. Dieses Vorgehen minimiert die Strahlenbelastung enorm. Im Vergleich zu anderen Trennmethoden wie dem Einsatz von Sägeseilen oder dem Wasserstrahl erzeugt der Laser das geringste Volumen radioaktiven Abfalls.
 

Wie forscht man an verseuchtem Material, ohne gesundheitliche Schäden oder weitere Verseuchungen zu riskieren?

Dr. Wetzig: Das Zielmaterial, das wir zerlegen wollen, entstand bei der Kernschmelze und ist hochradioaktiv und gleichzeitig nicht homogen. Wir haben also den Anspruch an unser »Probematerial«, dass niemand Strahlung ausgesetzt wird.

Dr. Hauptmann: Es handelt sich bei dem Zielmaterial in Tschernobyl um einen massiven Materialblock. Wir können ihn nicht einfach durchschneiden, sondern müssen ihn in handhabbare Stücke zerlegen. Es ist ausgeschlossen, dass wir echtes Material erhalten können. Die Idee, ein Modellmaterial selbst zu erstellen, wurde ebenfalls erwogen, aber es stellte sich als zu kompliziert und aufwendig heraus. Schließlich entschieden wir uns, an Basalt zu arbeiten, der dem Material im Kernkraftwerk Tschernobyl in seinen vermuteten Eigenschaften relativ nahekommt. Wir haben auch Versuche mit Stahlbeton durchgeführt, da auch dieses Material ähnliche Eigenschaften aufweist.
 

Wie hoch schätzen Sie die Dringlichkeit für den Rückbau verseuchter Gebiete ein?

Dr. Wetzig: Die Dringlichkeit solcher Fälle hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das »New Safe Containment«, das 2019 nach dem Bau des ursprünglichen Sarkophags über den havarierten Teil des Kernkraftwerks Tschernobyl errichtet wurde, ist für nur etwa 100 Jahre ausgelegt. Wir haben also nun noch etwa 95 Jahre Zeit, um den Abbau abzuschließen und das Material sicher zu verwahren.

Dr. Hauptmann: Auch unter lebensfeindlichen Bedingungen, wie sie etwa nach Chemieunfällen auftreten können, benötigt es den Einsatz von Abbau-Technologien. In unserer Arbeit beschäftigen wir uns mit Technologien für die Anwendung in als CBRN (chemisch, biologisch, radiologisch, und nuklear) klassifizierten Umgebungen. Diese hochgefährlichen Gebiete erfordern spezielle Technologien und Maßnahmen.
 

Welche Reichweite erzielen Rückbaumaßnahmen CBRN-verseuchter Bauten?

Dr. Wetzig: Auf der Welt existieren zahlreiche mit lebensbedrohlichen Substanzen kontaminierte Standorte. Zu den bekanntesten gehört neben Tschernobyl auch Fukushima, über weitere ist weniger bekannt. Beispiele dafür sind die kerntechnische Anlage Mayak, der verseuchte Karatschai-See in Russland oder das Kernkraftwerk »Three Mile Island« bei Harrisburg in den USA. Die Probleme und Herausforderungen unterscheiden sich bei solchen Havarien teils völlig.
 

Inwieweit sehen Sie in solchen Rückbaumaßnahmen eine Verantwortung für die Zukunft?

Dr. Wetzig: Der Bedarf nach Lösungen ist enorm. Dennoch handelt es sich eher um eine Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung. Um beim Beispiel der radioaktiven Belastung zu bleiben: Die Gefahr von Atomkraft wurde in der Vergangenheit unterschiedlich eingeschätzt. Jedoch lässt sich nie ausschließen, dass es zu einem Reaktorunfall kommt, selbst mit neuen Konzepten. Die Gefahr der Kernschmelze besteht immer, wenn auch auf einem geringeren Niveau. Daher ist es wichtig, dass wir Technologien für den Notfall entwickeln.

Dr. Hauptmann: Darüber hinaus sind lebens­feindliche Umgebungen ein weiteres Anwen­dungsfeld, um die Gefahr für Mensch und Umwelt zu reduzieren.Die Verwendung unserer Technologie erzeugt keinen zusätz­lichen Abfall, da wir nur Energie für die Zer­legung verwenden.Daher sehen wir hier eine nachhaltige Lösung, um umwelt- und gesund-heitsschädliche Materialien zu zerkleinern und abzutransportieren.

Um eine möglichst realitätsnahe Forschung zu gewährleisten, untersuchte das Forschungsteam Materialien, die denen im beschädigten Kraftwerk in Tschernobyl ähneln.
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Um eine möglichst realitätsnahe Forschung zu gewährleisten, untersuchte das Forschungsteam Materialien, die denen im beschädigten Kraftwerk in Tschernobyl ähneln.
Schütze, Yannik; Helmholtz-Zentrum Berlin: Modeling of microscopic charge transfer properties of a conjugated polymer cathode for Li-S batteries.
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